Wegwerfen ist manchmal besser!"
Tübingens Bürgermeister Boris Palmer sieht im „Blaumacher-Modell“ seiner Stadt einen Weg, wie mit Überzeugungskraft der Klimaschutz auf lokaler Ebene funktionieren kann.
Neckar-Odenwald-Kreis/Mosbach (ub) Konsequent ist konsequent. Wer sich für den Klimaschutz stark macht wie Boris Palmer, geht mit gutem Beispiel voran und verzichtet auf die CO2-Schleuder Automobil. Der grüne Oberbürgermeister der Uni-Stadt Tübingen kam folglich mit dem Zug nach Mosbach, um seinen Vortrag „Eine Stadt macht blau“ nachzuholen. Denn die Veranstaltung im Rahmen der vierten Klimaschutzreihe von S.U.N.e.V., BUND, EAN und NABU im Oktober 2011 war wegen Krankheit Palmers ausgefallen. Und fast schien es so, also wollte der OB erneut blau machen, schaffte es doch der neugierige Mosbacher-Besucher nicht ganz, rechtzeitig in der Alten Mälzerei zu sein.
Blau machen sollte an diesem Abend aber nicht stehen fürs Schwänzen. Blau machen hat sich Tübingen auf die Fahnen geschrieben, um in Sachen Klimaschutz voranzukommen. Im Frühjahr 2008 starteten OB und Stadtverwaltung eine Kampagne mit dem Ziel, in zwei Jahren zehn Prozent weniger CO2 zu erzeugen. Ob es gelungen sei, wollte und konnte Palmer nicht eindeutig bejahen, denn Zahlen seien hier schwer zu ermitteln. Alles in allem sei es wohl gelungen.
Ansonsten aber ist dem studierten Mathematiker der Umgang mit Zahlen ein Leichtes. Egal, auf welchem Gebiet der Klimaschutzmöglichkeiten er aus dem Publikum angesprochen wurde, der Sohn des „Remstalrebellen“ Helmut Palmer belegte seine Aussagen mit reichlich Zahlenmaterial. Ob das der mit 24 Prozent äußerst geringe Verkehrsanteil von Autos am Gesamtverkehr in Tübingen ist, ob es die 1 800 Mitglieder beim „teilAuto“ sind, was einem zweiprozentigen Bevölkerungsanteil entspricht), ob das die Ausgaben für Radwege sind (2007 waren es 50 000 Euro, 2011 eine halbe Million) oder die hochgeschnellte Zahl von Ökostromkunden in Tübingen (aus 800 wurden 10 000) – Palmer wusste mit Sachkenntnis ebenso zu überzeugen wie mit seiner erfrischenden und hemdsärmeligen Art. Motto: Geht nicht gibt’s nicht“. Und schon gar nicht lässt er sich von der Verwaltungsregel „Das haben wir schon immer so gemacht“ (ab)lenken.
Unter anderem hat er es geschafft, Bürger, Unternehmen und den eigenen Verwaltungsapparat für die Klimasache zu gewinnen. „Glaubwürdig überzeugen“, erklärte er sein Erfolgsrezept. Die Farbe Blau setze dabei positive und parteiunabhängige Signale. Das „blaue“ Tübinger Modell macht mittlerweile Mode. Und nicht nur derart, wie sie der OB am Leibe trägt; er war nämlich im leuchtend blauen Anzug erschienen, den Rucksack darüber geschultert.
Die Gastgeber in Mosbach finden, dass das Tübinger Modell Schule machen sollte im Landkreis und hatten an den Slogan „Eine Stadt macht blau“ die rhetorische Frage gehängt: „Ein Kreis auch?“ Übertragbar auf den NOK scheint manches. Martin Wuttke, einer der drei Anwesenden aus dem Landratsamt, betonte die Wichtigkeit von Klimaschutzmaßnahmen und meinte: „Einiges haben wir im NOK bereits auf den Weg gebracht.“ So auch Mosbachs Umweltbeauftragte Petra Birkefeld: „Wir sind gerade dabei, Unternehmen für die vierte Staffel eines Umweltberatungsprogramms zu akquirieren.“
Aufwind bekam Uwe Ristl von der Energieagentur des Kreises (EAN), der schon die Idee hatte, dass sich mit energiesparenden Heizungspumpen einiges an Strom sparen ließe. In Tübingen machen die Stadtwerke den Hauseigentümern den Einbau moderner Umwälzpumpen mit einem Spezial-Contracting schmackhaft. Voraussetzung: man muss Ökostromkunde werden. „So könnte es auch was bei uns werden“, ließ sich Ristl inspirieren. Christine Denz, wie Palmer eine beharrliche Kämpferin für umweltfreundliche Energienutzung, wusste sehr wohl, warum sie den Klima-Bürgermeister nach Mosbach geladen hatte. Auch sie handelt nach der Maxime: global denken, lokal handeln. Neu war für die SUN-Vorsitzende indes der Vortrag nicht. „Steht alles in seinem Buch“, das sie in- und auswendig kenne.
So greift in Tübingen eins ins andere. Das Kleine zählt ebenso wie das Große. Im Rathaus helfen abschaltbare Steckerleisten und auf den Straßen Energiesparlampen, Strom zu sparen. Den privaten unter den Mosbacher Zuhörern gab Boris Palmer den Tipp: „Wenn Ihr Kühlschrank zehn Jahre oder älter ist, werfen Sie ihn weg. Wegwerfen ist manchmal besser.“ Und weil er lieber lebenspraktisch denkt als bürokratisch, lieferte der Mathematiker noch eine Gegenrechnung: „Wenn Sie’s W-LAN nicht abschalten, dann haben Sie den alten Kühlschrank wieder.“